Heute nachmittag hatten wir den Lebkuchen für das Weihnachtsgebäck angerührt. Lebkuchenteig musste lange durchziehen, darum durfte man nicht zu spät damit beginnen. Wir machten das jedes Jahr auf die gleiche Weise, meine Mutter und ich. Familientradition, nach dem gleichen Rezept hatte schon meine Mutter mit ihrer Mutter Lebkuchen gebacken und ihre Mutter vor ihr.
Jetzt stand eine abgedeckte Teigschüssel auf dem Küchenschrank und meine Eltern waren weggefahren, um den Abend bei Freunden zu verbringen.
Ich blieb allein in der Wohnung zurück, saß auf meinem Bett, die Knie angezogen, in mich zusammengerollt und hörte über Kopfhörer Musik. Die Augen hatte ich geschlossen. Dass es draußen schon dunkel war, wusste ich auch so. Ich hasste die Novemberdunkelheit. Ich hasste es, wie sie ins Haus gekrochen kam und sich dort in Ecken und Winkeln breitmachte und sich auch von der stärksten Lampe nicht restlos vertreiben ließ. Dunkelheit hatte mir schon immer Angst gemacht, doch seit ich mich nachts in einen Vogel verwandelt hatte, hasste ich sie noch mehr.
Aus: Nachtkrähen, Kapitel 10